RuhrGesichter

Große Oper am Ende der Welt

Der “Fliegende Holländer” begeisterte das Premierenpublikum auf der Halde Haniel in Bottrop.   Der „Fliegende Holländer“ von Richard Wagner landete auf der Halde Haniel bei Bottrop mitten im Ruhrrevier. Noch bis zum 09. Juni ist die dreiaktige Oper dort auf der archaisch anmutenden Abraumhalde des Bergwerks „Prosper-Haniel“ zu sehen.   Nachdem die Generalprobe buchstäblich ins Wasser bzw. dem Starkregen zum Opfer fiel, wurde noch am Vortag der Premiere die Arena von Wasser und Schlamm befreit und die malträtierte Technik wieder instandgesetzt: Eine Meisterleistung des Teams rund um die Sänger, Tänzer und Musiker.   Regisseur Thomas Grandoch, der bereits im Kulturhauptstadtjahr 2010 Verdis „Aida“ im Revier inszenierte, sagt  über die Halde Haniel: "Dieser Ort ist so faszinierend. Die Halde sieht aus wie eine Mondlandschaft. Da wollte ich unbedingt den ,Fliegenden Holländer' machen. In dieser Oper geht es ja um Naturgewalten, und dazu passt der mystische Ort perfekt". Und tatsächlich: Die Vorstellung beginnt in der einsetzenden Dämmerung und führt das Publikum von einer langen Pause unterbrochen über zweieinhalb Stunden hinweg in die Dunkelheit. Die eigentliche „Berg Arena“ mit dem kunstrasenden „goldenen Käfig“ Sentas (großartig gesungen von der Bottroperin Elisabeth Otzisk, vielen noch als Aida in Erinnerung) wird umrahmt von den Zuschauern; gespielt und gesungen wird jedoch auch auf den aufgestapelten Hochseecontainern und den Wällen der Halde, die in vorbildlicher Art nicht nur Ort des Geschehens, sondern ein Teil der gesamten Inszenierung wird. Die 50 Seefrachtcontainer bilden die zwei Schiffe von Daland und dem Holländer und nehmen die Arena mit Senta und den Zuschauern bedrohlich „in die Zange“. Hier kommt der vom Teufel selbst verdammte Holländer an Land, um nach der Erlösung durch die Kraft der Liebe zu suchen, die ihm bis in den Tod treu bleibt, auch wenn er die Hoffnung fast verloren hat:    „Nur eine Hoffnung soll mir bleiben, nur eine unerschüttert stehn: so lang der Erde Keime treiben, so muss sie doch zugrunde gehen. Tag des Gerichtes! Jüngster Tag! Wann brichst du an in meiner Nacht? Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht? Wann alle Toten auferstehn, dann werde ich in Nichts vergehn, in Nichts vergehn… Ihr Welten, endet euren Lauf! Ew’ge Vernichtung, nimm mich auf!“  Die Neue Philharmonie Westfalen lässt hinter einer Schallfolie spielend die wilde See rund um das Publikum schäumen und gibt dem Großprojekt auch bei den auf der Halde immer schwierigen Witterungsverhältnissen ein stabiles und routiniertes orchestrales Gerüst mit Gespür für die tragenden und die getragenen Momente der Inszenierung. Die Rolle des Holländers singt Bastiaan Everink mit großer Brillanz und „auf den Punkt“. Neben Senta sind auch der Steuermann und Erik mit Christian Sturm und Lars Rühl herausragend besetzt.  Es ist uns Ruhrgesichtern schleierhaft, wie man an diesem archaisch anmutenden, dem Wind und Wetter ausgesetzten Ort eine so großartige Akustik hinbekommt. Nein, nicht die Akustik des eines Opernhauses, aber für eine Open Air Oper an diesem Ort wird eine herausragende Klangqualität erreicht.   Beeindruckend ist trotz der teils humorvollen Verweise in unsere Zeit die große Werktreue der Inszenierung von Thomas Grandoch. So lässt er den Steuermann mit seinen Matrosen bei der Ankunft seines Schiffes zunächst mal zum Selfie aufmarschieren; unter den Schätzen des Holländers findet sich Seefrachtcontainer voller Louis Vuitton, Rolex und sogar ein chromiger Flitzer aus der Bottroper Tuningschmiede Brabus; der Jäger Erik mutiert passend zum Ort zum Bergmann. Doch all dies führt, wie auch die Licht und Feuereffekte, nicht weg von Wagner und hin zu den Karl May Festspielen, sondern bleibt Wagner in jedem Moment ebenso treu wie Senta dem Holländer.   Einen großen Moment erwartet das Publikum am Ende, als Senta den Holländer durch den eigenen Tod erlöst hat und im Schlussbild frei zwischen den Stelen der Installation „Totem“ auf der Haldenkuppe wieder erscheint. Dem Premierenpublikum hat es gefallen. Uns auch. Lieber Thomas Grandoch, liebes Ensemble und Team: Saubere Arbeit, die Lust auf mehr große Oper auf dem schwarzen Hügel von Bottrop macht.