RuhrGesichter Das Wahrzeichen der Stadt Oberhausen hat nach der längeren Sanierungspause wieder geöffnet und beherbergt noch bis zum 30.12.2022 in Europas höchster Ausstellungshalle „Das zerbrechliche Paradies“, eine Ausstellung mit mehr als 100 Videos und großformatigen Fotos über den Einfluss des Menschen auf das Ökosystem „Erde“; der Besucher wird auf eine Reise durch Meere, Wald, Wüste und Städte geschickt; das unumstrittene Highlight ist ein riesiges, 20 Meter durchmessendes, animiertes Modell unseres Planeten im 100 Meter hohen Innenraum des Gasometers.

Das zerbrechliche Paradies                                                       

im Gasometer Oberhausen

Der   117.5   Meter   hohe   Gasometer   wäre   auch   ohne   Ausstellung   stets   einen   Besuch wert:   1927   als   Scheibengasbehälter   gebaut   und   bis   1988   betrieben,   ist   er   heute ein   sehenswerter   Industriegigant   mit   einem   umwerfenden   Rundumblick   von   der Aussichtplattform   auf   dem   Dach.   Seit   1994   haben   viele   Millionen   Besucher   die aufwändig inszenierten Ausstellungen im Inneren des Kolosses besucht. Bei    der    aktuellen    Schau    werden    aktuelle    Satellitenbilder    auf    die    Erdskulptur projiziert,   das   Earth   Observation   Center   des   Deutschen   Zentrums   für   Luft-   und Raumfahrt    hat    die    Satellitendaten    gesammelt:    Von    Wolken,    Flugzeug-    und Schiffsbewegungen,   Meeresoberflächen   und   Meerestiefen,   am   Tag   und   in   der Nacht.   Nils   Sparwasser,   Projektleiter   beim   DLR,   erläutert   die   schiere   Menge   an Daten:   „Kein   einzelner   Satellit   ist   in   der   Lage,   eine   solche   Sicht   zu   liefern,   wie   sie im   Gasometer   zu   bestaunen   ist.   Allein   die   Möglichkeit,   Taifune   und   Hurrikans rund   um   den   Globus   zu   verfolgen,   erfordert   die   Kombination   von   einem   Dutzend verschiedener    Datensätzen.    Als    Quelle    nutzen    wir    Empfangsstationen    in    der ganzen    Welt,    von    der    Arktis    bis    zur    Antarktis,    aber    natürlich    auch    in Deutschland.“      All   diese   Messwerte   helfen,   das   komplexe   Ökosystem   unserer Erde   zu   verstehen   –   wissenschaftlich,   aber   auch   emotional:   Vereint   in   einer animierten     Projektion     entsteht     auf     der     20     Meter     großen     Erdkugel     ein Gesamtkunstwerk   voll   bildgewaltiger   Anmut.   Unterlegt   ist   dieses   visuelle   Erlebnis mit speziell für die Ausstellung verfasster Musik des Komponisten Rupert Huber. Stickoxide,   die   Rodung   großer   Urwälder,   Ölverschmutzungen   im   Meer   oder   die Visualisierung   des   Ozonlochs   –   die   zwanzig   beleuchteten   Globen   auf   der   mittleren Etage   des   Gasometer   Oberhausen   zeigen   Ergebnisse   langfristiger   Analysen   der Erdbeobachtung   durch   spezialisierte   Satelliten.   Anschaulich   und   zum   Anfassen lädt    „Das    zerbrechliche    Paradies“    damit    nicht    nur    zur    ganz    persönlichen Erkundung   unseres   Heimatplaneten   ein,   sondern   bietet   einen   völlig   neuen   Blick auf   die   Erde:   Primär   geht   es   stets   um   negative   Einflüsse   des   Menschen.   Wem   der Aufblick   auf   die   Fotos   und   der   Ausblick   auf   die   Erdkugel   nicht   reichen   oder   auch zu   viel   werden,   der   kann   mithilfe   von   VR   Brillen   Einblick   in   die   Natur   nehmen   und beispielsweise   aus   der   Sicht   eines   Frosches   einen   atemberaubenden   Ausflug   in den Regenwald unternehmen.   Auf   drei   Etagen   präsentiert   „Das   zerbrechliche   Paradies“   die   unvergleichliche Schönheit,   aber   auch   die   Fragilität   unserer   Welt.   „Das   zerbrechliche   Paradies“ nimmt    die    Besucher    mit    auf    eine    Reise    durch    die    bewegte    Klimageschichte unserer    Erde    und    legt    den    Fokus    auf    Weltuntergangsszenarien    und    die Klimakatastrophe,   Experten      sprechen   als   Hologramm   zu   uns,   eine   von   vier   als Experten   vorgestellten   Personen   ist   Luisa   Neubauer,   die   wenig   überraschend darauf   hinweist,   dass   „DIE   WISSENSCHAFT“      alle   Fakten   vorgelegt   habe   und auch   die   Konzepte   zur   Rettung   der   Erde   seit   langem   existieren.   Ihr   Apell   an   die Besucher   des   Gasometers:   Sorgt   für   politischen   Druck   von   der   Straße,   dann   ist der rettende Systemwechsel möglich. Dementsprechend   pustet   der   Wind   einer   raschen   Neuordnung   der   Welt   auf   drei Etagen   viel   schlechtes   Gewissen,   Schuld   und   Scham   durch   den   Gasometer.   „Das zerbrechliche   Paradies“   bietet   eine   Fülle   von   gut   aufbereiteten   Informationen   und verharrt   nicht   in   der   Pose   des   erhobenen   Zeigefingers,   die   viel   zu   oft   maßlose Ausbeutung   des   Planeten   ist   zweifellos   real   und   die   bildgewordenen   Mahnungen im   Gasometer   wirken   emotional   auf   vielen   Ebenen:   Ein   riesiger   Tagebau   wird vom   Betrachter   nun   einmal   als   tiefe   Wunde   der   Erde   wahrgenommen   und   ist sicher nicht  „schön“. Ein   endloses   Feld   von   Sonnenkollektoren   oder   für   Windparks   gerodete   Wälder würde   jedoch   auf   viele   Menschen   ähnlich   wirken,   diese   Bilder   fehlen   jedoch   in der   Ausstellung   gänzlich.   Der   allgegenwärtige   Ruf   nach   einem   Systemwechsel weg   von   Konsum   und   Individualismus,   sowie   der   Aufruf   zu   Verzicht,   findet   seinen Antrieb   im   Versuch,   eine   Kollektivschuld   „wieder   gut   zu   machen“.   Wir   haben   bei unserem    Besuch    keinen    Hinweis    darauf    gesehen,    welche    Rolle    das    massive Bevölkerungswachstum   auf   diesem   Planeten   auf   den   Raubbau   hat   und   wo   diese Bevölkerungsexplosion    primär    stattfindet.    Eine    Diskussion    unter    Besuchern endete    mit    dem    Hinweis    einer    Dame,    dass    „wir“    auch    daran    schuld    seien, immerhin   hätten   „wir“   die   Länder,   die   unter   massiver   Überbevölkerung   leiden, durch   unseren   Kolonialismus   erst   so   arm   werden   lassen,   dass   Kinderreichtum   der einzige   Ausweg   sei   und   nun   seien   „wir“   halt   auch   verpflichtet,   die   wachsende Anzahl     an     Menschen     auf     dem     Planeten     gleichmäßig     zu     verteilen     und Klimaflüchtlinge   aufzunehmen.   Ihre   engagierte   Begleiterin   ergänzte:   „Niemand muss   mehr   nachdenken   oder   noch   lang   rumdiskutieren.   Die   Fakten   sind   bekannt. Jetzt heißt es einfach: Machen.“ Dementsprechend   gab   es   zwar   viele   bedrückte   Gesichter   bei   den   Besuchern   der imposanten   Ausstellung;   angesichts   der   vollen   Parkplätze   am   Gasometer   ist   eine Anreise per Lastenrad bei den meisten Besuchern allerdings nicht zu vermuten.  Im    Gasometer    Shop    gab    es    neben    anderen    Souvenirs    natürlich    auch    den Ausstellungskatalog   zu   kaufen;   es   war   für   die   Ausstellungsmacher   ein   Aushang über   eine   ganze   DIN   A4   Seite   nötig,   um   sich   dafür   zu   rechtfertigen,   dass   der Katalog   in   umweltschädlich   Folie   eingeschweißt   wurde.   Kurzzusammenfassung des   Aushangs:   Ohne   Folie   sähen   die   Kataloge   nach   kurzer   Zeit   nicht   mehr   so   aus, dass   sie   gekauft   werden   würden.   Bei   aller   Sympathie:   Das   ist   lächerlich,   aber   in Teilen symptomatisch für das Debatten – Niveau. Selbstverständlich   schädigt   jeder   Mensch   durch   reine   Existenz   seine   Umwelt   und wer   darüber   hinaus   in   einer   westlichen   Industriegesellschaft   lebt,   der   kauft   auch Waren in Verpackungen, die nach Nutzung nicht klimafreundlich verpuffen. Oder   aus   einer   anderen,   aktivistischen   Perspektive:   Umweltschutz   also   nur,   wenn dem   keine   ästhetischen   und/oder   kapitalistischen   Interessen   und   Sachargumente entgegenstehen?   Ob   die   Betreiber   eines   Tagebaus   wohl   auch   nachvollziehbare Gründe   für   ihren   Betrieb   finden?   Oder   ob   der   Ausstellungsbesucher   gute   Gründe haben   mag,   nicht   auf   sein   Auto   zu   verzichten?   Wie   weit   soll   der   Verzicht   der anderen   gehen,   wenn   die   Absender   der   „Rettet   den   Planeten“   –   Botschaft   schon nicht   bereit   sind,   wellige   eselsbeohrte   Kataloge   zu   verkaufen   oder   besser   noch ganz   auf   Papierkataloge   zu   verzichten?   Sollten   die   Besucher   nicht   besser   auf   die Anfahrt     und     den     Besuch     als     Ausdruck     unverantwortlichen     egoistischen Freizeitverhaltens verzichten? Eines   ist   bei   aller   berechtigter   Kritik   sicher:   Als   Motor   für   eine   gesellschaftliche Transformation   eignen   sich   Scham   &   Schuld   ganz   sicher;   ob   nun   aber   nicht bessere   Technologie   und   ein   klarer   rechtsstaatlicher   Rahmen,   sondern   die   Abkehr von   Industrie,   Individualismus   und   Kapitalismus   die   versprochene   Rettung   bereit hält,   darf   jedoch   bezweifelt   werden;   dafür   haben   Länder   mit   kollektivistischeren Gesellschaften      und      sozialistische      Modelle      auch      keine      ausreichend erstrebenswerte Umweltbilanz vorzuweisen. Fazit:   Die   Ausstellung   ist   toll   gemacht,   hochinformativ,   berührt   die   Besucher   und entlässt   sie   mit   einem   unterstützenswerten   klaren   Apell:   Schützt   den   Planeten. Ein   bisschen   mehr   exponat-gewordene   Debatte   und   weniger:   „DIE   Wissenschaft hat   gesprochen:   Das   Ende   ist   nah.   Und   nun   gehet   hin   in   alle   Welt   und   verkündet die apokalyptische Botschaft“ hätte der Ausstellung jedoch gut getan. Dennoch:   Der   Besuch   ist   unbedingt   empfehlenswert.   Um   mit   ausreichend   Ruhe die   phantastischen   Fotografien   und   interessanten   Exponate   studieren   zu   können, sollte mit einem halben Tag ausreichend Zeit eingeplant werden. Alle     aktuellen     Informationen     rund     um     den     Besuch     finden     sich     hier: www.gasometer.de