Ich geh unter lauter Schatten
Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle Bochum
eigentlich
jedoch
für
den
Konzertsaal
komponiert
und
für
die
Ruhrtriennale
ins
Genre
des
Musiktheater
übertragen:
Eine
Herausforderung,
die
den
Akteuren
um
Regisseurin
Elisabeth
Stöppler
jedoch
beeindruckend
gelang.
Ergänzt
wurde
das
Werk
Griseys
durch
Werke
von
Claude
Vivier,
Iannis
Xenakis
und
Giacinto
Scelsi,
die
allesamt
ein
meist
düsteres
Klangfeld
mit
vielen
perkussiven
Elementen
in
der
Jahrhunderthalle
erzeugten
und
so
mit
teils
maschinenhaften
Klängen
in
Beziehung zur Industriegeschichte des Spielortes traten.
Die
scharfe
Unterschiedlichkeit
und
Trennung
der
vier
Szenarien,
herausgearbeitet
zusätzlich
durch
die
Aufteilung
der
ursprünglich
einen
Gesangsstimme
auf
vier
Sängerinnen
in
den
unterschiedlichen
Teilen
des
Werkes,
die
intensive
Umsetzung
in
den
gewaltigen
Räumlichkeiten
der
Jahrhunderthalle,
die
ja
selbst
manifest
gewordene
Geschichte,
weiter
Raum
und
Projektionsfläche
für die Fantasie des Zuschauers ist: Das war eine gelungene Inszenierung.
Elisabeth
Stöppler
betonte
in
einem
Vorgespräch
zur
Aufführung,
dass
es
sich
bei
dem
zugrunde
liegenden
Werk
zunächst
um
vier
Verlustszenarien
handelt,
die
erst im Laufe des Stückes den Raum öffnen für Entgrenzung und Ewigkeit.
Gérard
Grisey
selbst,
der
die
Uraufführung
seines
letzten
Werkes
(geschrieben
in
Vorahnung
des
eigenen
Todes?)
nicht
mehr
erleben
konnte
und
1998
starb,
beschrieb sein Werk wie folgt:
“Ich
habe
die
Vier
Gesänge
um
die
Schwelle
zu
überschreiten
als
eine
musikalische
Meditation
über
den
Tod
in
vier
Abschnitten
verfasst:
der
Tod
des
Engels,
der
Tod
(Untergang)
der
Zivilisation,
der
Tod
der
Stimme
und
der
Tod
(das
Ende)
der
Menschheit.
Die
ausgewählten
Texte
stammen
aus
vier
Kulturen
(christlich,
ägyptisch,
griechisch,
mesopotamisch)
und
haben
eines
gemeinsam:
eine fragmentarische Auseinandersetzung mit der Unausweichlichkeit des Todes.”
Gérard
Grisey
schickt
also
zuerst
den
Engel
über
die
Schwelle,
dann
die
Zivilisation, die Stimme und schließlich die Menschheit bzw. die Menschlichkeit.
Aus
dem
ersten
Gesang:
"Von
dem,
der
es
sich
schuldet
/
zu
sterben
/
als
Engel...
/
Wie
er
es
sich
schuldet
zu
sterben
/
wie
ein
Engel
/
so
schulde
ich
mir
/
zu
sterben
/
ich
selbst.
/
Er
schuldet
sich
sein
Sterben
/
seinen
Engel
zu
sterben
/
da er im Sterben lag / wie ein Engel."
Der
zweite
Gesang
basiert
auf
fragmentarischen
Inschriften
aus
dem
alten
Ägypten.
„Ich
bin
durchgegangen...
Ich
war
in
voller
Blüte
...
ich
klage
...
Das
Leuchten fällt in das Innere…“
Der
dritte
Teil
führt
in
die
griechische
Unterwelt,
wo
sich
"die
Stimme
im
Schattenreich verliert" und "das Echo ungehört verhallt.“
Der
vierte
Gesang
schließlich
basiert
auf
dem
Gilgamesch-Epos
und
nimmt
Bezug
auf
die
Sintflut,
grenzenlose
Zerstörung
und
Leid.
Im
Epilog
schließlich
erklingt
ein
Wiegenlied,
ein
Hinweis
auf
einen
weiteren
Übergang,
den
Kreislauf
des
Lebens
oder
nur
ein
schwacher
Spiegelsplitter
des
Lebens
im
endgültigen
Vergehen von Allem?
Regisseurin
Elisabeth
Stöppler
sagte,
dieses
Stück
sei
„eine
Bewusstseinserweiterung
in
einer
Tabuzone“,
die
sie
durch
die
vier
Sängerinnen
flüsternd,
schreiend,
singend
erlebbar
machen
wolle.
Dies
ist
überaus
gelungen,
auch
aufgrund
der
individuellen
Klasse
der
Akteure.
Unter
der
musikalischen
Leitung
von
Peter
Rundel
und
mit
den
großartigen
Stimmen
von
Sophia
Burgos,
Kerstin
Avemo,
Kristina
Stanek,
Caroline
Melzer,
Leonhard
Reso
und
Eric
Houzelot
gelang-
unterstützt
durch
das
Chorwerk
Ruhr
und
das
Klangforum
Wien-
auch
musikalisch Großes.
Ob
am
Ende
des
Abends
der
von
Stöppler
erkennbar
erwünschte
versöhnliche
Eindruck
überwiegt
oder
eher
ein
fatalistischer
Blick
in
den
großen
Abgrund,
das
blieb
jedem
Zuschauer
der
Jahrhunderthalle
selbst
überlassen.
Denn
am
Ende
des
großen
Geheimnisses
um
Leben
und
Tod
stand
keine
Antwort,
sondern
eine
offene, musikalische Frage.
Elisabeth Stöppler, Regisseurin © Andreas J. Etter
Fotos (c) Volker Beushausen_Ruhrtriennale 2022