RuhrGesichter

Das Familienunternehmen Renz reist als

'Kindercircus Renz' durch Deutschland.

Ruhrgesichter.de hat die Vorstellung in

Dortmund besucht.

Zunächst     einmal     waren     wir     bereits     vor     Beginn     der Vorstellung   sehr   angenehm   überrascht:   Das   große   Zelt,   die mit   Airbrushtechnik   bemalten   Wagen:   Das   alles   macht   einen ausgesprochen       gepflegten       Eindruck.       Mit       frischer Zuckerwatte     ausgerüstet     konnten     wir     nun     eine     über zweistündige    Zirkusvorstellung    sehen    mit    allem,    was    zu einem Kinderzirkus dazu gehört. Tiere   in   "sanften   Dressuren",   Clowns   und   tolle   artistische Darbietungen,   die   allesamt   von   Familienmitgliedern   gezeigt wurden. Was   uns   abgesehen   vom   überraschend   hohen   'artistischen' Gesamtniveau   besonders   gut   gefallen   hat,   war   die   ständige Interaktion   zwischen   Familie   Renz   und   den   Besuchern,   so dass     die     Grenzen     zwischen     Künstlern     und     Publikum zwischen   Manege   und   Zuschauerraum   bewusst   mit   leichter Hand   verwischt   wurden.   So   wurden   auch   zwei   Stunden   für die   zahlreich   mit   ihren   Eltern   heran   geströmten   Kinder   nicht zu lang.

Ein Leben für den Zirkus

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Wir    haben    während    der    Darbietungen    folgerichtig    bei    kurzen    Seitenblicken    zahlreiche strahlende    Kinderaugen    und    staunend    aufgeklappte    Kindermünder    gesehen.    Am    Ende konnten   nicht   nur   viele   Kinder,   sondern   auch   einige   Erwachsene   von   sich   behaupten, wichtiger   Teil   des   Zirkusnachmittags   gewesen   zu   sein.   Sollte   der   'Kindercircus   Renz'   also   in Ihrer   Nähe   gastieren:   Schnappen   Sie   sich   alle   Kinder,   die   Sie   finden   können   und   gehen   Sie hin. Es wird lustig. Garantiert. Im   Anschluss   stellte   sich   Familienoberhaupt   Karl-Heinz   Renz   unseren   Fragen   zu   Tradition, Tierschutz und Familie.   RG:   Lieber   Herr   Renz,   besten   Dank,   dass   Sie   'Ruhrgesichter.de'   Rede   und   Antwort   stehen. Welche Familienmitglieder reisen mit Ihnen? KHR:   Neben   mir   natürlich   meine   Frau   Angela,   meine   Tochter   Monique,   die   heute   leider krank   war   und   nicht   auftreten   konnte,   Gina   –   Marie   ist   mit   vierzehn   Jahren   unsere   jüngste Tochter   und   Romina,   die   sich   um   den   Süßwarenstand   kümmert.   Unser   Schwiegersohn Marcel stammt ebenfalls aus einer Zirkusfamilie. RG: Und welche Tiere reisen mit Ihnen? KHR:   Wir   haben   einen   amerikanischen   Painthengst,   vier   Friesenhengste,   zwei   argentinische Miniponys,   einen   Marok,   vier   Haflinger,   drei   Lamas,   sieben   Kamele,   vier   Hunde   und   unseren Esel   Felix,   aber   der   muss   erst   noch   was   lernen,   der   ist   erst   eineinhalb   Jahre   alt   und   wir fangen erst mit zweieinhalb Jahren an, mit den Tieren in der Manege zu arbeiten. RG: Haben Sie ein Lieblingstier? KHR:   Ich   liebe   meine   ganzen   Tiere.   Ich   hab   es   aber   schon   seitdem   ich   ein   kleiner   Junge war mit den Pferden, das sind sehr schöne und intelligente Tiere.   RG: Welchem Tier fliegen die meisten Kinderherzen zu? KHR: Das ist natürlich unser Pferd Lucky Luke aus der Westernnummer. RG:   Sie   gastieren   grade   eine   ganze   Woche   in   Dortmund   mit   ihrem   Kindercircus:   Was verbindet Sie mit dem Ruhrgebiet? KHR:   Es   ist   hier   alles   sehr   nah   beieinander.   Die   Menschen   hier   sind   offen   und   freundlich, auch deshalb gastieren wir hier gern. RG:   Der   Name   Renz   ist   ja   auch   jemandem   wie   mir,   der   schon   viel   zu   lange   nicht   mehr   im Zirkus    war,    ein    Begriff.    Gibt    es    verschiedene    'Familienteile',    die    unter    diesem    Namen unterwegs sind? KHR:   Es   sind   17   Familienteile,   die   unter   dem   Namen   Renz   reisen.   Die   Familie   Renz   ist   ja eine   sehr   alte   Zirkus-Dynastie,   gegründet   1842   in   Berlin   und   von   dort   aus   groß   geworden. Mein   Ururgroßvater   Ernst   Jakob   Renz   ist   dann   verstorben,   so   dass   der   Bruder   das   Geschäft weiterführte.   In   der   Kriegszeit   wurde   dann   viel   enteignet   und   zerstört   und   somit   ist   das   alte Unternehmen   dann   kaputt   gegangen.   Aber   es   war   mal   sehr   groß,   es   gibt   in   Berlin   die Renzstraße   und   es   wurde   zu   Ehren   von   Ernst   Jakob   Renz   eine   Briefmarke   herausgegeben. Der   Wiener   Prater   und   der   Friedrichspalast   in   Berlin   waren   Stammhäuser   vom   Zirkus   Renz, so wie in München der Zirkus Krone sein festes Haus hatte. Und    im    Moment    reisen    eben    17    Familienteile    mit    großen,    mittleren    und    kleinen Unternehmungen   durch   Deutschland.   Darunter   auch   vier   Großzirkusse   mit   Zelten,   die   auch 2000   Besucher   fassen   können,   die   haben   dann   auch   Raubtiere,   Elefanten,   viele   Artisten usw.   Wir   als   kleiner   Zirkus   stellen   die   Kinder   in   den   Mittelpunkt,   die   Familien   und   vor   allem die Kinder werden bei uns in die Vorstellung mit einbezogen. RG: Wie lange gibt es Ihren Zirkus? KHR:   Ich   bin   jetzt   46,   mit   24   habe   ich   mich   selbstständig   gemacht.   Vorher   war   ich   bei meinem   Vater   im   Zirkus,   ich   habe   acht   Brüder   und   drei   Schwestern,   mein   Vater   wollte   eine Fußballmannschaft zusammenbekommen, wir waren also eine richtige Großfamilie. RG:   Wenn   man   aus   einer   großen   Familie   kommt,   dann   wacht   man   ja   nicht   morgens   auf   und sagt:   Ich   bin   jetzt   24   Jahre   alt,   morgen   kaufe   ich   mir   ein   eigenes   Zelt   und   mache   mich selbstständig. Wie ging das bei Ihnen? KHR:   Ich   habe   ja   auch   nicht   gleich   mit   einem   neuen   Zelt   angefangen,   das   Geld   hätte   ich nie   zusammenbekommen.   Mein   Vater   hat   mich   sehr   unterstützt:   Er   hat   mir   eine   alte Zugmaschine   und   zwei   Kamele   mitgegeben,   ein   paar   kleine,   alte   Anhänger,   so   dass   ich ganz klein mit einem Einmastzelt anfangen konnte. RG:   Das   Zelt,   die   Wagen,   das   sieht   alles   sehr   gepflegt   aus.   Jetzt   haben   Sie   die   Möglichkeit mal richtig mit technischen Details zu glänzen. KHR:   Das   sind   alles   alte   Anhänger,   so   um   das   Baujahr   90,   aber   es   ist   alles   sehr   gut gepflegt,   sauber,   gut   lackiert.   Wenn   alles   gepflegt   ist,   dann   können   die   Zuschauer   auch   mal mit   dem   Auto   vorbeifahren   und   sehen,   dass   es   toll   aussieht   mit   der   Airbrushlackierung,   die ja   auch   richtig   teuer   ist   normalerweise.   Wir   haben   da   einen   Lackierer,   der   uns   da   gute Preise macht, sonst könnten wir das gar nicht bezahlen. RG: Wie lange dauert es, die ganze Anlage aufzubauen? KHR: Wenn wir ganz schnell sind, steht die komplette Zeltanlage in sieben Stunden. RG: Ihr Zirkus ist ausdrücklich ein Kindercircus. Warum? KHR:   Es   wird   ja   heute   sehr   wenig   für   Kinder   getan.   Was   wird   im   Moment   in   Dortmund   für Kinder   angeboten?   Und   solange   es   Kinder   gibt,   wird   der   Zirkus   nicht   untergehen.   Zirkus   live ist   doch   immer   schöner   als   Gameboy,   Handy,   Internet   und   Fernsehen,   aber   es   ist   natürlich schwieriger    geworden,    gegen    das    alles    anzukommen.    Hier    in    Dortmund    sind    die Vorstellungen   ja   gut   besucht,   das   ist   leider   nicht   immer   so.   Wenn   es   immer   so   gut   wäre, dann   könnten   wir   uns   auch   mal   ein   größeres   Tierzelt   anschaffen,   jetzt   reicht   es   noch,   aber wir brauchen etwas mehr Platz für Futtervorräte. RG:   Was   können   Sie   Ihren   großen   und   kleinen   Gästen   bieten,   was   diese   nirgendwo   sonst bekommen? KHR:   Wirklich   hautnah   Zirkus   zu   erleben   mit   allen   Sinnen   und   den   Zirkusduft   zu   riechen, das   erlebt   man   nur   live   im   Zirkus.   Das   echte   Zirkuslachen   und   Strahlen   der   Kinder,   das   geht auch   nur   im   Zirkus.   Was   denken   Sie,   wie   viele   Kinder   ihren   Eltern   jetzt   noch   vom   Clown erzählen,    wie    viele    jetzt    noch    Zirkus    nachspielen.    Wenn    wir    irgendwo    länger    sind, bekommen   wir   Post   an   den   Wohnwagen   gebracht,   dass   es   schön   war   oder   die   Kinder bringen gemalte Bilder, heute hat ein Kind dem Clown einen Teddybär geschenkt. RG: Würde ein Kinderzirkus ohne Tiere funktionieren? KHR:   Die   Kinder   freuen   sich,   wenn   sie   im   Zirkus   auch   Tiere   sehen.   Ich   war   bei   den   Kollegen von   Zirkus   Flic-Flac:   Das   war   ein   tolles   Programm,   aber   eben   keine   Tiere   und   man   hat   dort kaum   Kinder   gesehen.   Das   liegt   natürlich   vielleicht   auch   an   den   Eintrittspreisen,   die   sich beim   Großzirkus   junge   Familien   häufig   nicht   leisten   können.   Wir   machen   etwas   für   Kinder. Wir   sprechen   Kinder   und   junge   Familien   an.   Jetzt   ist   beim   kleinen   Zirkus   so,   dass   man   sich immer   noch   für   ein   paar   Euro   irgendwo   hinsetzen   kann,   dass   kann   der   Flic-Flac   natürlich nicht machen. RG:   Es   gibt   ja   auch   den   großen   Zirkus   „Universal   Renz“,   bei   dessen   Gastspiel   in   Dortmund die   Tierrechtsorganisation   PETA   zu   Protesten   aufrief.   Wie   ist   Ihre   Sicht   der   Dinge:   Wie gehen Zirkus und vernünftiger Umgang mit den Tieren zusammen? KHR:   „Universal   Renz“,   das   ist   ein   Cousin   von   mir.   Die   Tierschützer   sind   ja   gegen   jeden Zirkus   mit   Tieren.   Ich   war   am   Niederrhein,   da   kam   die   Polizei   und   sagte,   Herr   Renz,   hier   ist gleich   eine   Demonstration   von   Tierschützern.   Ich   habe   gesagt:   Das   ist   o.k.,   ich   habe   nichts dagegen,   aber   warum?   Zirkusleute   sind   doch   nicht   automatisch   Tierquäler.   Ich   habe   ihnen gesagt:   Seht   Euch   doch   unsere   Tiere   an,   geht   doch   mit   den   Polizeibeamten   in   die   Ställe und   schaut   Euch   um.   Da   werdet   Ihr   keine   unterernährten,   verhaltensgestörten   Tiere   oder sonst   etwas   sehen,   was   Euch   erschreckt,   sondern   gepflegte   Tiere,   die   friedlich   grasen.   Oft haben   wir   für   die   Tiere   schöne   Koppeln   am   Gelände,   wo   die   dann   rumlaufen   können,   denen geht   es   doch   gut.   Für   Wale   oder   Delphine   in   engen   Becken   im   Zoo   bin   ich   auch   nicht,   aber wir   reisen   doch   mit   Haustieren.   Und   auch   wenn   ein   Zirkus   Raubtiere   hat,   die   sind   doch   im Zirkus   geboren   und   werden   gut   gepflegt.   Im   Fernsehen   kommt   doch,   dass   es   nur   noch wenige   wildlebende   Tiger   gibt,   im   Zirkus   pflanzen   sich   die   Tiere   fort   und   die   Menschen können   Bezug   finden   zu   den   Tieren.   Wenn   ich   mit   der   Peitsche   auf   die   Tiere   eindreschen würde,   dann   würden   die   doch   nicht   freiwillig   zu   mir   kommen.   Und   auch   eine   Organisation PETA   verdient   umso   mehr   Geld,   je   mehr   vermeintliche   Skandale   sie   finden.   Ich   habe   noch nie   einen   organisierten   Tierschützer   in   einem   harten   Winter   gesehen,   der   mal   zu   uns kommt   und   uns   mal   ganz   konkret   ein   bisschen   Hundefutter   oder   einen   Ballen   Heu   bringt, weil   er   etwas   Gutes   für   die   Tiere   tun   will.   Die   Besucher   sehen   doch   wie   die   Tiere   aussehen und   sich   verhalten   und   wie   ich   mit   den   Tieren   umgehe.   Der   große   Friesenhengst   hat   heute in   der   Manege   einen   Fehler   gemacht,   dann   habe   ich   die   Longe   drangemacht   und   er   lief ohne   Probleme.   Das   funktioniert   doch   nicht,   wenn   man   mit   der   Peitsche   drauf   einprügelt. Wir   leben   von   und   mit   den   Tieren,   wir   hängen   an   unseren   Tieren.   Wir   machen   es   doch   für die   Kinder   im   Publikum,   für   unsere   Tiere   und   weil   wir   den   Zirkus   lieben.   Meine   Frau,   meine Tochter   und   ich,   wir   haben   alle   einen   LKW   Führerschein   und   könnten   auch   bei   einer Spedition   arbeiten.   Dann   bringt   man   jeden   Monat   festes   Geld   nach   Hause.   Aber   der   Zirkus, die   Tiere   und   unsere   Familie   gehören   zusammen   wie   der   Wind   und   das   Meer,   wir   halten zusammen. Es ist ein hartes Leben, aber wir lieben den Zirkus. RG: Gibt es in der heutigen Zeit noch Vorurteile gegenüber Zirkusleuten? KHR:   Das   ist   gut,   dass   Sie   das   anschneiden.   Früher   hieß   es   immer:   Nehmt   die   Wäsche   von der   Leine,   die   Zigeuner   kommen.   Aber   wir   haben   uns   da   nie   gesträubt   und   das   hat   uns auch   nicht   verletzt,   weil   wir   sind   ja   keine   Diebe,   sondern   reisende   Gaukler   und   kommen, um   die   Menschen   zu   unterhalten.   Wie   in   der   Ritterzeit   oder   im   alten   Rom;   auch   damals   gab es   schon   Feuerschlucker   und   so   weiter,   nur   dass   es   keine   Hochseilartisten   gab,   sondern   zur Belustigung   des   Volkes   den   Löwen   des   Circus   Maximus   Christen   vorgeworfen   wurden.   Dann kam    die    reisende    Gaukelei    mit    Feuer-    und    Schwertschlucken,    die    haben    auch    schon Akrobatik   und   Jonglage   vorgeführt,   sind   in   die   Städte   gegangen,   die   Leute   haben   sich einfach   drumherum   gestellt   und   zugeschaut   und   am   Ende   ging   dann   der   Teller   rum,   dass die   Gaukler   auch   bezahlt   wurden.   Um   1850   herum   kam   dann   halt   der   Zirkus,   wie   wir   ihn kennen,   Sarasanai,   Renz,   Althoff,   Busch-Roland.   Wenn   der   Zirkus   heute   in   einen   neuen   Ort kommt,   dann   sagen   die   Leute   immer   noch:   Das   sind   andere   Menschen,   die   Zirkusleute. Und   damit   haben   sie   auch   recht,   ich   sag   es   Ihnen   wie   es   ist,   wir   sind   auch   andere Menschen.   Schauen   Sie,   ich   bin   in   Tübingen   in   Baden   Würtemberg   geboren   und   wenn   ich jetzt   schwäbisch   schwätzen   würde,   könnten   Sie   nichts   mehr   verstehen.   Ich   bin   also   ein ganz   normaler   Deutscher,   aber   die   Leute   merken   sofort,   dass   ich   anders   bin.   Oft   kommt dann   die   Frage:   Sie   sind   aber   kein   Deutscher?   Weil   die   Leute   merken,   dass   die   Mentalität irgendwie   anders   ist.   Wir   Zirkusleute   kommen   ja   rum   und   haben   mit   allen   Nationalitäten   zu tun,    mit    Griechen,    Türken,    Engländern,    Spaniern,    Arabern.    Auch    in    die    Vorstellungen kommen   ja   unterschiedlichste   Nationalitäten,   ich   spreche   dann   in   der   Pause   oder   nach   der Vorstellung    gern    mit    den    Leuten    und    so    sind    wir    Zirkusmenschen    sehr    offen    und aufgeschlossen    anderen    Leuten    gegenüber.    In    der    heutigen    Zeit    trauen    sich    ja    viele Menschen   gar   nicht   mehr   aufeinander   zu   zugehen.   Zirkusmenschen   sind   aber   locker   und offen und deshalb fallen sie vielleicht immer sofort auf. RG:   Noch   ein   Vorurteil,   dass   Sie   richtig   stellen   können:   Da   Sie   ja   ständig   unterwegs   sind, sollen   angeblich   nur   Beziehungen   innerhalb   der   reisenden   Branche   funktionieren.   Sprich:   Es heiraten nur Zirkusleute untereinander. Stimmt das? KHR:   Wir   sind   halt   die   ziehenden   Leute   vom   Zirkus,   das   ist   nicht   leicht   für   Sesshafte.   In unsere   Branche   heiraten   aber   auch   Menschen   rein,   die   fest   und   ständig   an   einem   Ort wohnen.   Ich   habe   auch   eine   Tante   aus   Bremen   und   jemand   anders   kommt   aus   Kassel.   Aber es   ist   schwierig,   die   müssen   sich   jahrelang   dran   gewöhnen.   Das   ist   nicht   jedermanns Sache,   dann   fehlen   die   Freunde,   das   ganze   Rumgeziehe   gefällt   nicht   jedem.   Man   muss   da schon    zu    bereit    sein,    wie    ein    Cowboy    in    Amerika    durch    die    Gegend    zu    ziehen    und weiterzureiten,   wenn   die   Arbeit   an   einem   Ort   getan   ist.   Nur   halt   mit   Wohnwagen   und Anhänger. RG:   Es   ist   also   schon   eine   echte   Ausnahme,   wenn   von   Aussen   in   die   Zirkusbranche eingeheiratet wird? KHR:   Ich   bin   mit   meiner   Frau   mit   22   Jahren   zusammengekommen,   mit   23   haben   wir   das erste   Kind   bekommen.   Nur,   sie   kommt   ja   selbst   aus   einer   Zirkusfamilie,   sie   kannte   schon viel   und   wusste,   wie   das   Leben   ist.   Wenn   ich   ihr   heute   sage,   wir   fahren   bis   3   Uhr   in   der früh,   dann   wird   der   Wagen   geöffnet,   die   Zugmaschine   wird   abgehangen   und   dann   ist   erst Deine   Wohnung,   Dein   Bett   bereit,   dann   kennt   sie   das   ja   gar   nicht   anders.   Aber   viele   Frauen wollen   das   so   nicht.   Wenn   Sie   heute   im   Fernsehen   „Bauer   such   Frau“   schauen,   da   sehen Sie   das   zugespitzt   ja   auch.   Solche   Männer   haben   es   oft   schwer,   eine   Frau   zu   finden,   die   das Leben   so   mitmacht.   Da   sagen   viele   Frauen   auch:   Ich   möchte   mich   nicht   in   den   Stall   zu   den Kühen   stellen   und   den   ganzen   Tag   am   Hof   sein,   sondern   mich   lieber   in   der   Stadt   sehen lassen   und   so.   Und   so   ist   das   bei   den   Zirkusleuten   auch.   Wenn   ich   eine   solche   'Privatfrau' geheiratet   hätte,   wäre   es   bestimmt   auch   schwierig   geworden.   Aber   es   gibt   auch   viele Zirkusleute,   die   Frauen   geheiratet   haben,   die   sesshaft   waren   und   die   mitgezogen   sind.   Da muss   ich   auch   sagen,   die   stellen   sich   gar   nicht   so   blöd   an.   Aber   die   müssen   da   schon   ein Faible   für   haben   und   das   dann   auch   durchziehen.   Unter   Zirkusleuten   wird   eine   Ehe   dann   ja auch   gehalten,   denn   ich   baue   ja   nicht   nur   das   Verhältnis   zu   meiner   Frau   auf,   sondern   ich baue   ein   Verhältnis   zwischen   Frau,   Kindern,   Tieren   und   dem   ganzen   Zirkus   auf.   Das bedeutet,   wenn   ich   meine   Frau   im   Stich   lassen   würde,   dann   würde   der   ganze   Zirkus   kaputt gehen.   Dann   müsste   ich   als   Alleinunterhalter   die   Leute   zum   Lachen   bringen,   aber   Mario Barth gibt es ja schon. RG:   Welche   Vor-   und   Nachteile   hat   es   denn,   wenn   man   seine   Familie   ständig   um   sich   hat? Was ist anders im Miteinander? KHR:   Manchmal   ist   das   Zirkusleben   selbst   natürlich   belastend,   aber   die   Familie   um   sich   zu haben   ist   eigentlich   immer   schön.   Heute   mussten   wir   zum   Beispiel   nach   neuen   Gemeinden schauen,   die   wir   anfahren   können.   Aber   da   gibt   es   dann   manchmal   Schwierigkeiten,   dass man   keine   Stellplätze   mehr   findet,   weil   der   Zirkus   die   Nachbarn   stören   könnte.   In   den Zirkus   gehen   die   Leute   gerne   mit   ihren   Kindern   und   Enkeln,   aber   wenn   sie   nachts   dann   mal den   Esel   schreien   hören,   ist   das   Ruhestörung.   Da   hat   dann   eine   Person,   die   sich   gestört fühlt   und   beim   Ordnungsamt   anruft   soviel   Macht,   einen   ganzen   Zirkus   für   die   ganze Gemeinde   zu   verhindern.   Nur   die   Kinder   werden   nie   gefragt,   ob   der   Zirkus   kommen   oder bleiben   soll.   Was   die   Kinder   entscheiden   würden,   wäre   doch   auch   klar.   Die   würden   sich immer   für   den   Zirkus   entscheiden   und   sich   freuen,   wenn   sie   einmal   in   einer   Nacht   des Jahres mal einen Esel schreien hören würden. RG:   Wie   sehen   Sie   die   Entwicklung   der   Branche.   Gibt   es   den   kleinen   Zirkus   in   30   Jahren noch? KHR:    Im    Moment    reisen    ungefähr    450    Zirkusunternehmen    durch    Deutschland.    Der Deutsche   geht   nach   wie   vor   gern   in   den   Zirkus,   aber   es   ist   natürlich   schwieriger   geworden. Wir   sind   ja   kulturschaffend,   aber   im   Gegensatz   zu   den   Theatern   werden   wir   nicht   staatlich subventioniert.   Es   ist   eine   alte   Tradition,   die   eigentlich   stärker   unterstützt   werden   sollte. Das   muss   ja   nicht   mit   Geld   sein,   aber   vielleicht   könnte   man   den   Zirkusleuten   Stellplätze   frei halten   und   zur   Verfügung   stellen.   Es   muss   doch   nicht   alles   zugebaut   werden   bis   auf   den letzten   Quadratmeter,   sondern   man   kann   doch   Platz   lassen   für   einen   Rummel   oder   einen Zirkus.   Denn   wenn   alles   zugebaut   wird,   dann   ist   das   hinterher   so   wie   in   Japan   oder   in China:   Eine   Welt   ohne   richtigen   Zirkus.   Da   wird   dann   das   Löwenkostüm   angezogen,   aber einem    Kind    ist    es    doch    immer    lieber    einen    Löwen    zu    sehen,    als    einen    Artisten    im Tierkostüm.   Schauen   Sie   mal   in   die   Kinderaugen,   wenn   bei   uns   ein   kleiner   Hund   durch einen   Reifen   springt   und   sich   dabei   freut   oder   ein   lustiges   Pferd   kommt   oder   die   Kinder   auf einem   Kamel   durch   die   Manege   reiten   dürfen.   Dann   bekommen   die   Kinder   doch   auch   einen Bezug zum Tier und das ist doch nie verkehrt. RG:   Die   Kinder,   vor   allem   die   kleinen   Mädchen,   die   ich   in   der   Vorstellung   gesehen   habe, haben   ihre   jüngste   Tochter   angehimmelt   und   hätten   wohl   allesamt   gern   mit   ihr   getauscht. Wie gehen Schule und Artistenausbildung zusammen mit dem ständigen Reisen? KHR:   Die   jüngste   Tochter   geht   ja   zur   Artistenschule   in   Berlin,   dort   bekommen   die   Kinder noch   den   letzten   Schliff   und   dort   hat   sie   dann   auch   normal   Schule.   Unsere   Kinder   sind   als schulpflichtige   sonst   immer   dort   zur   Schule   gegangen,   wo   wir   gerade   waren.   Hier   in Nordrhein-Westfalen   gibt   es   ja   Stellen,   die   für   Zirkuskinder   da   sind,   das   hat   uns   mit   NRW nochmal   besonders   verbunden.   Dann   kommt   der   Schulwagen   und   die   Kinder   werden   hier vor   Ort   unterrichtet.   In   den   meisten   Bundesländern   gibt   es   das   kaum,   dort   müssen   die Kinder   dann   dort   zur   Schule   gehen,   wo   wir   gerade   sind.   Anders   geht   das   gar   nicht,   denn unsere Gina-Marie hat schon mit vier Jahren in der Manege gestanden. RG: Wie pflegt man da Freundschaften? KHR: Das ist natürlich schwer für die Kinder, da wir immer woanders sind. RG:   Ich   habe   bei   Nummern,   wie   bei   Ihrer   Westernnummer,   bei   der   einem   Gast   ein   Stück Zeitung   zwischen   den   Händen   mit   einer   Peitsche   zerfetzt   wird   bislang   immer   geglaubt,   dass es   sich   nicht   um   echte   ahnungslose   Gäste   handelt,   sondern   jemand   aus   dem   Team   im Publikum   sitzt   und   'zufällig'   ausgewählt   wird.   Hier   schien   es   jedoch   tatsächlich   ein   Gast   zu sein? KHR:   Ja,   das   sind   Gäste,   die   wir   mit   einbeziehen.   Die   Peitschennummer   ist   aber   tatsächlich nicht   ganz   ungefährlich,   da   die   Bullen   -   Peitsche   zum   Beispiel   auf   das   Wetter   und   die Luftfeuchtigkeit    reagiert    und    bei    Regenwetter    'zäher'    und    schwerer    wird.    Das    ist gefährlicher als das Messerwerfen, denn die Messer sind besser einzuschätzen. RG:   Was   machen   Sie   mit   den   vielen   Fingern,   die   sie   den   Gästen   abschlagen?   Wird   das Kamelfutter? KHR:   Nein,   es   ist   noch   nichts   Ernstes   mit   Gästen   passiert,   auch   als   Artist   und   Zirkusmensch muss   man   seine   Grenzen   kennen   und   darf   natürlich   das   Publikum   nicht   gefährden.   Und   es freuen   sich   ja   nicht   nur   die   Kinder,   wenn   sie   mit   einbezogen   werden.   Die   Väter,   die   dann mit   einem   Sprung   auf   das   Pferd   springen,   sind   doch   auch   stolz   und   hätten   vorher   nicht gedacht,   dass   sie   das   können.   Da   habe   ich   natürlich   auch   einen   Blick   für,   wen   ich   in   die Manege holen kann und wen eher nicht. RG: Kann man die Nummern Ihrer Show auch für private Veranstaltungen buchen? KHR:   Wir   haben   ja   feste   Tourneen,   die   wir   einhalten   müssen   und   sind   nicht   viele   Leute. Wenn   man   uns   frühzeitig   anspricht,   dann   kann   man   das   für   größere   Events   einrichten, wenn   ein   paar   Nummern   gebraucht   werden.   Es   muss   sich   ja   auch   für   uns   lohnen.   Wenn   wir vielleicht    ein    paar    hundert    Kilometer    entfernt    sind    und    dann    für    10    Minuten    der Feuerschlucker   irgendwo   gebraucht   wird,   das   ist   dann   mit   hundert   Euro   nicht   bezahlt.   Aber für   größere   Betriebsfeste,   Hochzeiten,   Galas   oder   wenn   auch   das   Zelt   für   eine   Feier   mit Programm gebraucht wird, dann kann man sich melden. RG:   Gibt   es   etwas,   dass   Sie   unseren   Lesern   unbedingt   noch   mitgeben   wollen,   was   ich   Sie aber nicht gefragt habe? KHR:   Ja,   die   Leser   sollten   doch   viel   in   den   Zirkus   gehen.   Denn   der   Zirkus   ist   ja   vom Aussterben bedroht, hat aber so viel zu bieten und macht nicht nur Kindern viel Spaß. RG:   Das   war   ein   schönes   Schlusswort,   dem   wir   uns   anschließen.   Vielen   Dank   für   das Interview und Ihrem Zirkus alles Gute und viel Erfolg für die Zukunft.