RuhrGesichter Das Streetart-Artistik-Event Urbanatix rief das Publikum in diesem Jahr erstmals nicht in die historische Jahrhunderthalle in Bochum, sondern in den 1958 errichteten Multifunktionsbau der Grugahalle in Essen.

Urbanatix                                                                  

Streetart & Artistik in der Grugahalle Essen

Der   Innenraum   der   rund   7700   Zuschauer   fassenden   Halle   war   auf   kuschelige   ca. 2000   Plätze   durch   Vorhänge   verkleinert   worden;   hier   blieb   zur   Premiere   kein Platz   unbesetzt,   was   zwar   Karl   Lauterbach   weniger   gefallen   haben   dürfte,   der Stimmung   in   der   Gruga   aber   definitiv   zuträglich   war.   Nachdem   das   Ruhrgebiet auf   Urbanatix   mehrere   Jahre   verzichten   musste   (erst   kamen   die   Verheerungen durch   Corona,   dann   durch   die   GEMA),   war   es   nun   Zeit   für   ein   fulminantes Comeback zwischen Streetart aus dem Ruhrpott und großartiger Profi-Artistik. Die   Mischung   zwischen   den   30   jungen   Street-Artists   sowie   den   international renommierten    Künstlern    passte    auch    in    diesem    Jahr:    Im    alchemistischen Urbanatix-Kessel     wurden     begeisternde     Tanzperformances,     Parkour,     Biken, großartige   Beatbox-Künstler   mit   Ausnahmeacts   der   internationalen   Artistikszene verrührt und mit einem ordentlichen Schuss starker Live-Musik verfeinert. Die    Show    startete    direkt    mit    einem    „Wimmelbild“    aller    Akteure    auf    der Hauptbühne   und   einer   durch   einen   langen   Steg   verbundenen   weiteren   Bühne mitten   im   Zuschauerraum.   Diese   zweite   Bühne   sorgte   zum   einen   dafür,   dass   sich das    Publikum    immer    „nah    am    Geschehen“    fühlte,    zum    anderen    war    sie verantwortlich    für    zahlreiche    steife    Umdreh-Nacken    in    den    ersten    Reihen.      Bemerkenswert:   Die   einzelnen   Nummern   waren   in   sich   dramaturgisch   fesselnd und    von    perfekter    Länge,    aber    auch    das    Gesamtwerk    folgte    einem    klugen Spannungsbogen   und   wirkte   homogen.   Da   haben   nicht   nur   die   Künstler   und Artisten   selbst,   sondern   auch   Choreografen   und   Regie   eine   überragende   Arbeit geleistet   (auch   Licht   und   Ton   passte;   da   waren   Menschen   am   Werk,   die   ihr Handwerk   verstehen).   Wenn   beispielsweise   die   großartige   Lisa   Rinne   unter   dem Hallendach   plötzlich   ihr   Trapez   loslässt   und   zeitgleich   die   gesamte   Beleuchtung „ausfällt“,   dann   hätte   ein   EKG   des   vollständigen   Publikums   kurzzeitig   nur   noch eine Nullinie gezeigt. Viele   der   Profi-Nummern   hat   der   versierte   Zirkusbesucher   natürlich   schon   oft ähnlich   erlebt;   aber   selten   qualitativ   so   gut   ausgeführt   und   dramaturgisch   derart auf   den   Punkt.   Das   Cyr   Wheel   haben   wir   noch   nie   so   gut   gesehen,   wie   an   diesem Abend:   On   top   kommt   die   grandiose   Idee   von   Hugo   Noel,   sein   Arbeitsgerät   mit einem LED-Ring effektvoll zu beleuchten. Auch    bei    den    anderen    Profi-Acts    wurde    klar,    dass    Urbanatix    nicht    eine Aneinanderreihung guter Artisten ist, sondern EINE Show. Auch     von     der     angenehm     passend     und     sich     an     den     richtigen     Stellen zurücknehmenden   Band   (Martin   Korecki   an   Tasten   und   Gitarre,   Jonas   Wilms   an den   Drums)   und   dem   formidablen   Live-Gesang   von   Svea   Kirschmeier   untermalt, bekamen   die   Nummern   eine   Extraportion   Spirit   und   Gänsehautfaktor.   Die   Artistik blieb   im   Vordergrund,   die   Atmosphäre   der   jeweiligen   Nummer   wurde   von   der Musik   verstärkt   und   nicht   überlagert   oder   gestört:   Auch   das   ist   eine   Kunst   für sich. Svea    Kirschmeier    überzeugte    gesanglich    und    als    Multiinstrumentalistin    an Handpan    und    im    späteren    Verlauf    des    Abends    am    Saxophon,    ohne    ihren musikalischen   Beitrag   hätten   dem   Abend   ein   paar   Prozentpunkte   zur   „Perfekt“   - Wertung   gefehlt.   Auch   eine   weitere   Sängerin   (Laura   Cammalleri)   aus   der   Tanz- Crew   überzeugte   nicht   nur   tänzerisch,   sondern   auch   stimmlich   und   brachte   den richtigen Streetart-Vibe mit auf die Bühne der Grugahalle. Ganz stark! Noch     einen     Satz     zum     Veranstaltungsort:     Urbanatix     in     der     Grugahalle funktionierte,   klar.   Im   Gegensatz   zur   Gruga   hat   die   Jahrhunderthalle   in   Bochum jedoch   eine   deutlich   schönere   Atmosphäre   und   eine   eigene   „Industrie-Seele“,   die besser   zu   Urbanatix   passt.   Wenn   es   irgendwann   zu   einer   Abstimmung   kommt,   ob die   Show   nach   Bochum   zurückkehren   sollte,   erheben   wir   Ruhrgesichter   bereits vorsorglich jetzt alle verfügbaren Hände für die Jahrhunderthalle. Egal   auf   welcher   Bühne:   Die   Tanzcrew   war   erneut   großartig   und   brachte   viel rotzige    Energie    auf    die    Bretter.    Chapeau!    Die    Urbanatix-Altmeister    Catwall- Acrobats   begeisterten   beim   Walltramp   und   mit   dem   Schleuderbrett,   die   Dunking Devils   brachten   den   Basketball   stets   in   und   gelegentlich   sich   selbst   durch   den Korb und die Halle zum Toben. Die   Equilibristik-Nummer   von   Florian   Zumkehr   wurde   ebenso   gefeiert   wie   Oskar Skrypko    am    „Chinesischen    Mast“.    Robeat    ist    amtierender    Europameister    als human   Beatbox   und   bildete   das   gesamte   Publikum   in   einem   Instantblitzworkshop zu   passionierten   Beatboxern   aus,   Carlos   Howard   war   ebenfalls   als   Beatboxer   am Start, seine Sounds komplettierten und veredelten auch die Musik der Band.   Katharina   Waigmann   und   Johann   Prinz   haben   nicht   nur   ein   Waschbrett   an   einer Stelle,   an   der   unser   Redakteur   vor   Ort   nur   eine   Wäschetrommel   hat,   sondern können   auch   unfassbar   tolle   Dinge:   An   den   unterschiedlich   langen   Duo-Strapaten verzauberten   die   Beiden   das   Publikum   mit   ihrer   poetischen   Darbietung.   Aus   den simultan     vorgeführten     Strapaten-Solonummern     wurde     schlussendlich     ein gemeinsamer   Tanz:   Pure   Magie!   Diesem   schwersten   aller   Luftakrobatik-Genres könnten   wir   ohnehin   ständig   zusehen.   Doch   wenn   Johann   &   Katharina   an   den Baumwollbändern    wirbeln,    bekommt    die    Akrobatiknummer    eine    zauberhafte Leichtigkeit   und   tänzerische   Poesie.   Wunderschön   und   ein   Highlight   an   diesem   an Höhepunkten nicht eben armen Abend. Da   Remi   Martin   kurzfristig   ausgefallen   war,   führte   Felix   im   rollenden   Cybersessel souverän durch das Programm. Das    begeisterte    Publikum    erhob    sich    zu    minutenlangen    Standing    Ovations: Zurecht.   Auch   wir   Ruhrgesichter   waren   begeistert   und   verneigen   uns   beeindruckt vor   dem   gesamten   Ensemble   und   sagen   artig   DANKE   für   100   Minuten   großartige Unterhaltung auf höchstem Niveau. Da   Urbanatix   mehr   ist   als   „nur“   eine   überzeugende   Bühnenshow,   sondern   ein spannendes   on-and-off-stage   Konzept   mit   einem   Open   Space   Trainingszentrum, in   dem   junge   Bewegungstalente   der   Region   gemeinsam   ihre   Skills   entwickeln und voneinander lernen können, lohnt sich der Blick auf www.urbanatix.de unbedingt. Dort finden sich auch alle Infos zu den Spielzeiten und Tickets.
© Foto: Dr. Heinrich Brinkmöller-Becker, urbanatix
© Foto: Dr. Heinrich Brinkmöller-Becker, urbanatix
© Foto: Dr. Heinrich Brinkmöller-Becker, urbanatix